Archiv nach Monaten: Februar 2012

Smash Tourism?

In Kreuzberg finden sich in letzter Zeit immer mehr Aufkleber und Schriftzüge, die „Kein Herz für Touris“, „Smash Tourism“ oder „A.T.A.B“ (was ich mal als „all tourists are bastards“ interpretiere) verkünden. Hier hat es beispielsweise die Eingangsspeisekarten eines indischen Restaurants getroffen:

Ich halte das für einen klassischen Fall von Teile und Herrsche. Eine vermutlich irgendwie linke Szene wendet autonome und Antifa-Stilmittel (vgl. „Smash Capitalism“ und „A.C.A.B.„) an, um politisch gegen Tourismus oder gar Tourist_innen* vorzugehen, da mehr Tourismus in Kreuzberg mit mehr Gentrifizierung in Zusammenhang gebracht wird.

Eine Variante davon scheint mir die Identifizierung von Schwäb_innen als Hauptmotor der Gentrifizierung zu sein.

In beiden Fällen wird eine bestimmte Personengruppe als solche einheitlich konstruiert („der Schwabe“, „die Touristen“) und ihr vermeintlich häufigeres Auftreten für komplexe stadtsoziologische Veränderungen verantwortlich gemacht. Das geht so weit, dass an „linken“ Kulturabenden im Publikum abgefragt wird, wer aus Schwaben kommt und wer schon wie viele Jahre in „unserem Kiez“ lebt. Und dass ich mich frage, wann die ersten Nazibüttel den (sexistischen, an einer antifaschistischen Szenekneipe klebenden) Spruch „Touristen fisten“ (der wohl an „Nazis fisten“ angelehnt ist) wörtlich nehmen.

Ebenfalls gleich mit dem Bade ausgeschüttet werden die oft nicht bio-deutschen Betreiber_innen preiswerter Speiselokale (wie in dem oben fotografierten Fall), wenn bei ihnen nach Meinung der Aktivist_innen zu viele Tourist_innen oder Yuppies (eine gerne per Aussehen und Auftreten konstruierte Gruppe) einkehren. Dass dies in postkolonialen Zeiten und einer rassistisch strukturierten deutschen Mehrheitsgesellschaft mindestens heikel ist, und dass ebensolche Lokale zwei Straßen weiter gerne als günstige (da auf Selbstausbeutung beruhende) Verköstigung für eine breite linke, antifaschistische, autonome, anarchistische Szene dienen dürfen, scheint im Aktionismus übersehen zu werden.

Der eigentliche Gag aber: Die Beschäftigung mit Tourismus oder Schwabentum lenkt wunderbar von den tatsächlichen Ursachen der Gentrifizierung ab und von der davon profitierenden Klasse. Während Stadtpolitiker_innen ihre Hände wie immer in Unschuld, Untätigkeit oder vorgeblichem Unvermögen waschen und Immobilienverbände offen die Früchte der Gentrifizierung feiern, mobilisiert eine Kreuzberger Szene, die einmal dafür berühmt war, sich beispielsweise mit Hausbesetzungen zynischen Kapitalinteressen in den Weg zu stellen, nun gegen Gruppen feiernder Spanier_innen und gegen alle Mieter_innen, die klingen, als kämen sie aus der Nähe von Stuttgart.

Teile und Herrsche vom feinsten.

Das heißt, streng genommen kann ich nur mutmaßen, dass es sich bei den Anti-Tourist_innen tatsächlich um irgendwie „Linke“ handelt. Inhaltlich würde es mich nicht wundern, wenn die Sprüche und Aufkleber viel schlichter tatsächlich von Faschist_innen kommen. Aber noch mag ich nicht glauben, dass in Kreuzberg so viele Nazi-Dummbacken unterwegs sind, dass sie einen ganzen Diskurs über Aufwertung und ihre Ursachen prägen können.

Oder mir ist ein Argument entgangen, warum es emanzipatorischen Sinn ergeben kann, Hass auf diejenigen beziehungsweise Angst derjenigen zu schüren, die für ein paar Tage nach Kreuzberg zum Feiern kommen. Über Hinweise oder eine Diskussion per Kommentarfunktion würde ich mich  freuen.

Der Stadtsoziologe Andrej Holm stellte übrigens 2011 auf einem Workshop fest, dass sich in der musikalischen Subkultur zum Thema Gentrifizierung widerspiegelt, dass die Proteste die Kapitalseite und die ihr nützliche Politkaste weitgehend ausblenden. Sie fokussiert sich in ihrer großen Mehrheit auf die Nachfrageseite, also den Wandel in der Mieter_innen- und Geschäftsstruktur.

Zapatistas versus Teile & Herrsche

Im Vorfeld des zapatistischen Aufstands vom 1. Januar 1994 versuchte die mexikanische Zentralregierung in den 70er und 80er Jahren, den wachsenden Widerstand im Bundesstaat Chiapas durch geschicktes teile und herrsche auszubremsen. Torben Ehlers schreibt:

„Auf zweierlei Weise wurde von der „Familia Chiapaneca“ (herrschende Elite) auf die Oppositionsbewegungen reagiert: zum einen mit der Mobilisierung von Entwicklungsgeldern an staatstreue Adressaten und zum anderen durch massive Anwendung von Gewalt. […]

Castellanos, Gouverneur in Chiapas von 1982-1988, schuf den „Plan de Rehabilitatión Agraria“, dessen Ziel es war, die unabhängigen Organisationen durch gegenseitige Ausspielung zu schwächen und zu spalten. Absichtlich wurden viele Ländereien doppelt vergeben, so dass es zu Zerwürfnissen zwischen unabhängigen Organisationen wie der OCEZ und der CIOAC sowie der offiziellen Bauerngewerkschaft kam. […] Zu den sich gegenseitig schwächenden Campesino-Organisationen kamen auf Seiten der Staatspartei noch die für diese agierenden indianischen Kaziken und andere, in der Regel von Grußgrundbesitzern beauftragte paramilitärische Gruppierungen („Weißgardisten“).“

(Torben Ehlers, Der Aufstand der Zapatisten – Die „widerspenstige Schnecke“ im Spiegel der Bewegungsforschung, Tectum, 2009, S. 51 u. 52)

Clever. Land doppelt vergeben und damit die widerständigen Bäuer_innen* gegeneinander aufbringen.

Zum Glück taten die Zapatistas letztlich das Gegenteil: Statt sich spalten zu lassen, fanden sogar die revolutionäre EZLN mit städtisch-universitärem Hintergrund und die bis aufs Blut ausgebeutete, großteils indigene Landbevölkerung Chiapas zusammen und arbeiten seit 1994 gemeinsam am Aufbau humanerer, selbstbestimmterer Strukturen.

El Mural de Taniperla

Interessant übrigens, wie sich laut Ehlers die ursprünglich autoritär organisierte EZLN zwecks Rückhalt in der Bevölkerung indigenen Konsens- und Räte-Konzepten (tzeltal „huoc ta huoc“) öffnen musste und eine ungewöhnlich machtkritische Befreiungsarmee entstand, die sich basisdemokratischen Beschlüssen der Landbewohner_innen unterwirft (vgl. Der Aufstand der Zapatisten, S.69-75).

Ebenfalls spannend unter dem Aspekt teile und herrsche: Im generell offeneren Klima seit 1994 konnten die chiapanekischen Frauen wesentlich mehr Selbst- und Mitbestimmung erkämpfen, als ihnen eine machistische Armee (EZLN) und traditionell patriarchale indigene Strukturen zu Beginn zugestehen wollten (vgl. Der Aufstand der Zapatisten, S. 71, und Zwischenzeit e.V., Das Recht glücklich zu sein, Münster 2009). Meine Hypothese ist, dass der Erfolg der Zapatistas gegen die eigentlich übermächtige mexikanische Zentralregierung auch durch ein Zurückdrängen des teile und herrsche zwischen Männern und Frauen (bzw. von Männern über Frauen) mitbestimmt wird.